Hans C. Müller
Liebe Eichkamper,
Die Zusendung
Eichkamp 1947 - 2007 war eine wirkliche Überraschung. Wenn auch leider
etwas verspätet, danke ich dafür ganz herzlichst.
Die Chronik
spiegelt in ihrer Absicht und historischen Widmung ganz den Geist des
damaligen studentischen Aufbruchs und trifft zugleich in ihrer
Objektivität „die Schwachpunkte" wie aber auch Anerkennung des
damaligen ambitionierten Bemühens um die Bildung eines neuen Habitus
studentischen Wohnens. Er war Symptom für neue Lebensvorstellungen nach
einem furchtbaren kulturellen Zusammenbruch. Jedenfalls zerredet Ralf
Zünder nicht, sondern absolviert die Legende mit einem lobenswerten
Abstand. Und schon deshalb werde ich die „Rückschau" in das Archiv der
Akademie der Künste Berlin geben. Dort gehört sie hin, als Zeitzeugnis
im Sinne ihrer kulturellen Bedeutung für das spontane Verhalten einer
jungen Generation im bitteren „Zerrbild der Erkenntnis zweier sinnlos
geführter Weltkriege".
Natürlich konnte in damaliger Zeit zur Stunde Null ein jugendlicher
Rudi Kulisch und sein Tutor Glodnik - beide soeben dem deprimierenden
Kriegschaos entronnen - nur aus der hohlen Hand ihrer selbst Ambitionen
eines Neubeginns schöpfen und andererseits konnte sich auch für uns als
„Erbauer" - soeben dem Studium entstiegen - im Angesicht der
Stadtzertrümmerung, ebenfalls hier in Eichkamp, nur die psychologische
Vorahnung einer neuen „Bildwerdung" modellhaft aus uns selbst
entfalten. Alles war für alle ein neuer Anfang.
Aber selbst unter diesen heiklen und spärlichen Annahmen gelang das
„Unfassbare": auf dem Boden entstandener Internationalität und einem
wachsenden Selbstbewusstsein gründete sich vor 60 Jahren - die durch
Euch existierende Vista.
• Der eindeutige Wille zur Selbsthilfe,
• das „Studium Generale" als Basis für ein studentisches Zusammenleben
aller Fakultäten, bis hin zum Bühnen- und Theaterstudium
• und nicht zuletzt die monumentalen Eichen, die als Erinnerung bis in die Türkei leuchten
bestimmten den Status eines ambitionierten, geistigen Lebensraumes -
• Beschenkt von der Dulles-Gesellschaft mit einem Club-Haus.
Inzwischen ist dieses Eichkamp traumhaft eingewachsen. Die Fotokopien
zeigen, dass wir trotz damaliger Not nicht einem puren materiellen
Kasernen-Stil verfielen, sondern bei allen hinzunehmenden finanziellen
und räumlichen Einsparungen, ein Konzept zu entwickeln verstanden, das
im Sinne individueller Abschirmung, aber trotzdem nachbarlicher
Kommunikation, durch kleinteilige Wohngruppierungen und verschiedene
Raumtypologien bestimmt war. Dennoch präsentiert sich in gegenläufiger
Tendenz eine großräumige Erschließungsmitte als ein Gesamterlebnisraum.
Dieses Willensbild eines Denkmodells
•
des Wohnens des Arbeitens
•
wie auch des Hausfestefeierns
wurde zur Substanz gegenseitigen Kennenlernens und Miteinanderlebens.
Die sich auf diese Weise aus der Maßstäblichkeit der nachbarlichen
Villen bestimmenden Strukturen sollten vor allem eine intensive
Begegnung des Innen und Außen herausfordern. Sie gab über die Jahre
einer derart tätig gewordenen Vista ihren Impetus.
Speziell dieser geistige Pol als Ausdruck inhaltlicher Dichte und
Kompetenz, als Kern des landschaftlichen Gesamtkonzeptes, wird m. E. in
jeweiligen Zeiten seine Konturen korrigieren müssen. Aber gerade
deshalb sollte heute im Zeichen der intellektuellen Aktivierung unserer
Gesellschaft mit der verloren gegangenen Kompetenz der Vista nicht
zugleich die Kultur der zwischenmenschlichen Beziehungen verloren gehen
und als heutiges Problem einer nachdenklichen Vertiefung wert sein.
Die Not der damaligen Zeit hat durch die Energie des Wollens zu einer
Hinterlassenschaft geführt, die heute leider unerkannt im Unbewussten
schlummert. Damit scheinen ihre jetzigen Bewohner ihren Anteil an der
damaligen verbindenden Motivation verloren zu haben, obwohl sich nach
wie vor immer noch in der spezifischen Erscheinung der Gesamtanlage die
ursprüngliche Ambition vermittelt. Noch immer liegt im Bild der
Vergangenheit Eichkamps ein Stück Zukunft.
In diesen Gedanken grüße ich Euch Jubilare, wohin Euch der Weg auch noch führen wird.
Herzlichst

Hans Müller
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